
Das Humanistische Selbstverständnis
Das menschliche Leben kennt Höhen und Tiefen, Licht und Schatten. Es kann Freude und Genuss sein; Menschen erfahren in ihrem Leben aber auch schweres Leid, Verletzung, Trauer und Vereinsamung. Wir Humanist*innen des Humanistischen Verbandes Deutschlands sind von der Möglichkeit der Verbesserung menschlicher Lebensbedingungen durch die Menschen überzeugt. Eine humanere Welt ist möglich. Dafür treten wir ein.
Menschenrechte, Humanität und Solidarität
Weltweit müssen Menschenrechte verteidigt oder sogar erst erkämpft werden. Religionen werden auch zur Unterdrückung genutzt. Nichtreligiöse, aber auch Andersgläubige werden verfolgt und bedroht. In Deutschland leben Humanist*innen in einer Gesellschaft, in der über ethische Fragen debattiert wird, wie z.B. Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Biotechnologien, Wertevermittlung, Asylpolitik oder die Verteilung des Reichtums. Ebenso wird kontrovers über die Selbstbestimmungsrechte der Menschen diskutiert. Dabei geht es etwa um die Gleichstellung von Frauen oder um verschiedene sexuelle Identitäten, um Schwangerschaftsabbruch oder Sterbehilfe. Der Humanistische Verband beteiligt sich mit eigenen Positionen an diesen gesellschaftlichen Debatten. Er bekennt sich zu den Menschenrechten und zur Humanität im Miteinander.
Religion und Weltanschauung in Deutschland
Ein Drittel der deutschen Bevölkerung ist nicht religiös. Sie führen ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott. Der Humanistische Verband versteht sich als Angebot für diese Menschen. Er ist eine anerkannte Weltanschauungsgemeinschaft und den Religionsgemeinschaften rechtlich gleichgestellt. (Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland)
Eine lange Tradition
Humanistisches Denken ist mehr als 2.500 Jahre alt. Wir finden es u. a. in der Antike, in Philosophien der asiatischen Hochkulturen, in der Renaissance und in den Ideen der europäischen Aufklärung. Der Humanistische Verband Deutschlands steht in dieser aufklärerischen Tradition. Die Vorgängerorganisationen, z.B. die Freidenkerbewegung, haben schon Mitte des 19. Jahrhunderts viele gesellschaftliche Errungenschaften erkämpft, die uns heute als selbstverständlich erscheinen: die Feuerbestattung, die Trennung des Schulwesens von der Kirche oder die Abschaffung einer Staatskirche.
Füreinander da sein: Praktischer Humanismus
Zu wichtigen Anlässen organisieren Humanist*innen Feste und Feiern, wie etwa Namens- und Hochzeitsfeiern oder auch Gedenk- und Trauerfeiern. Sie sind eine wichtige Begleitung humanistischen Lebens. Anlässlich der Jugendfeier wird, in Fortsetzung der bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Tradition der „Jugendweihe“, der Übergang von der Kindheit zur Jugend festlich begangen. In gemeinsamen Treffen und Vorbereitungswochenenden werden humanistische Werte wie Toleranz, Verantwortung und Solidarität erlebbar und selbstbestimmtes Handeln in der Gruppe ermöglicht.
Kinder und Jugendliche
Der HVD unterhält Kindertagesstätten und Jugendfreizeiteinrichtungen. Sie stehen allen Kindern und Jugendlichen offen. Die Kinder- und Jugendarbeit des HVD ist dem Kinderschutz, der Partizipation und Inklusion sowie der Geschlechtergerechtigkeit verpflichtet. Unsere Einrichtungen sind Orte, in denen Kinder und Jugendliche Selbstständigkeit erfahren und selbstverantwortliches Verhalten und Eigeninitiative erproben können.
Junge Humanistinnen und Humanisten
Die Jungen Humanistinnen und Humanisten in Deutschland e.V. sowie ihre Mitgliedsverbände aus den Bundesländern (JuHu) sind der Jugendverband des HVD. Dort treffen und organisieren sich junge Menschen, um ihre Ideen und Anliegen umzusetzen. Sie leben Selbst- und Mitbestimmung, fördern ein gemeinschaftliches, tolerantes und partizipatives Miteinander. Die JuHus organisieren Kinder- und Jugendreisen, Freizeiten oder internationalen Begegnungen. Der Jugendverband ist ein Ort der außerschulischen und politischen Jugendbildung, der sich aktiv jeder Form von Diskriminierung entgegenstellt.
Bildung und Wissenschaft
In Bayern, Berlin und Brandenburg bietet der HVD mit seinem Schulfach Humanistische Lebenskunde zehntausenden Schüler*innen eine Alternative zum Religionsunterricht. Humanistische Lebenskunde ist Unterrichtung in unserer Weltanschauung.
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen von Natur, Mensch und Gesellschaft erfolgt durch die Humanistischen Akademien des Verbandes. Sie organisieren und fördern wissenschaftliche Veranstaltungen sowie weltanschauliche und politische Bildung. Sie führen Forschungsvorhaben durch und veröffentlichen in Schriftenreihen wissenschaftliche Beiträge zum modernen Humanismus.
Gesundheit und Soziales
Das Gesundheits- und Sozialwesen hat für den HVD eine besondere Bedeutung. Er ist Träger vielfältiger Angebote der Lebensbegleitung, unterstützt in Notlagen und fördert die Selbsthilfe. Die persönlichen Bedürfnisse, Werte und Lebenssituationen der Hilfesuchenden stehen dabei im Vordergrund. Bei Lebenskrisen bietet der HVD fundierte Beratung, z.B. bei Schwangerschaftskonflikten oder bei psychischen und sozialen Problemen. Die Beratungsstellen für Patientenverfügungen unterstützen Menschen dabei, individuelle Entscheidungen in Bezug auf schwere Krankheitsverläufe und das eigene Lebensende zu treffen. In stationären und ambulanten Hospizdiensten werden Menschen an ihrem Lebensende begleitet. Um kranken, benachteiligten oder geistig wie körperlich eingeschränkten Menschen Unterstützung und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, betreibt der HVD Sozialstationen, Pflegedienste und Demenzwohngemeinschaften sowie Besuchs- und Mobilitätshilfedienste. Auch in der Obdachlosenhilfe ist der Verband aktiv.
Eintreten für eine Gesellschaft der Vielfalt
Die Mitglieder des Humanistischen Verbandes Deutschlands übernehmen gesellschaftliche Verantwortung für die Stärkung einer freiheitlichen und an Gerechtigkeit orientierten Kultur. Humanismus ist eine tolerante Lebensweise, die das Denken und Handeln seiner Mitglieder nicht einengt, sondern in seiner freien und individuellen Entfaltung unterstützt. Wir teilen gemeinsame Grundüberzeugungen und schätzen unsere interne Meinungsvielfalt. Im HVD haben sich Menschen zusammengeschlossen, die dogmatischen Weltanschauungen skeptisch gegenüberstehen. Zur humanistischen Lebensweise gehört die Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Mit anderen Weltanschauungen und vielen Religionen verbindet uns die Suche nach einem guten menschlichen Leben.
Toleranz der Humanist*innen findet dort ein Ende, wo Menschenrechte verletzt sowie menschenverachtende Standpunkte vertreten werden und das soziale Miteinander gefährden. Humanismus ist unvereinbar mit nationalistischen, rassistischen oder anderen totalitären Ideologien. Wir kritisieren Religionen und Weltanschauungen dann, wenn sie Andersdenkende mit dogmatischen Wahrheitsansprüchen bedrängen, Unterdrückung rechtfertigen oder zu Gewalt aufrufen. Religionsfreiheit bedeutet: Freiheit von der Religion und Freiheit zur Religion.
Dem Leben einen Sinn geben
Wir achten die Würde eines jeden Menschen und setzen uns für die Einhaltung der unveräußerlichen Menschenrechte ein. Beide stehen allen Menschen unabhängig von körperlichen oder geistigen Merkmalen, Leistungsvermögen, Herkunft, Alter, sexueller und religiöser bzw. weltanschaulicher Orientierung zu; ganz einfach deswegen, weil er*sie ein Mensch ist. Jedes menschliche Leben ist individuell und einmalig. Seine Endlichkeit macht es unendlich kostbar. Es ist uns nicht gleichgültig, wie wir die begrenzte Zeit auf der Erde verbringen. Menschen haben das Recht, ihre Lebensführung selbst zu gestalten. Selbstbestimmung aber muss täglich neu und oftmals gegen innere wie äußere Widerstände erkämpft werden. Selbstbestimmung kann nur gemeinsam mit anderen gelingen, die diese ebenso fördern und respektieren. Tragfähige soziale Beziehungen und die Achtung der Anderen können Lebenssinn und Erfüllung stiften.
Das menschliche Leben ist verletzlich. Angst und Schmerz, Misserfolg und Krankheit, Alter und Tod sind wie die Suche nach Sinn und Anerkennung, nach Glück und Bindung zentrale Bestandteile des Lebens. Das Leben auf der Erde ist veränderbar und gestaltbar, hin zur Humanisierung menschlicher Lebensbedingungen. Der Humanismus leistet praktische Lebenshilfe und geistige Orientierung bei Sinn- und Moralfragen. Humanistische Überzeugungen und gemeinsame humanitäre Praxis können helfen, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Aber nicht jede Schwierigkeit kann bewältigt, nicht jede Sorge aus der Welt geschafft werden. Und: Menschen sind Wesen, die sich irren können und scheitern dürfen.
Wissenschaft und Bildung
Humanismus orientiert sich am bestgesicherten Wissen seiner Zeit. Wir betrachten die Welt als ein Resultat von natürlichen Prozessen über viele Milliarden Jahre. Unsere Erde ist nur ein Planet in einem Universum, dessen Größe, Geschichte und Rätsel die menschliche Vorstellungskraft nur schwer zu deuten vermag. Die Wissenschaften zeigen, dass sich unser Leben einer biologischen und kulturellen Evolution verdankt. Sie bekräftigen uns damit in unserem Eintreten für die Gestalt- und Veränderbarkeit menschlicher Kultur und Geschichte.
Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt kann nicht nur nutzen, sondern birgt auch Gefahren – z.B. Atomenergie – und schwer einzuschätzende Risiken – z.B. Gentechnologie. Wissenschaftliche Forschung ist unabgeschlossen, anfällig für Irrtümer und sie unterliegt Interessen. Die Wissenschaften beantworten nicht alle Fragen und ihre Anwendung löst nicht alle unsere Probleme. Sie haben in unserer Weltanschauung eine wertvolle und hervorgehobene Orientierungsfunktion, jedoch keine ausschließliche und letztgültige. Entscheidend ist der ganze Mensch: Humanismus ohne Wissenschaft ist kopflos, Wissenschaft ohne Humanismus aber herzlos.
Humanistische Bildung ist mehr als nur passiver Erwerb von Wissen. Als nie abgeschlossener Prozess zielt sie auf die Fähigkeit zu Selbst- und Mitbestimmung, zu humanistischer Sensibilität und zur sinnhaften Orientierung im Leben, zum kritischen Denken sowie zum ethischen, politischen und solidarischen Handeln.
Humanistische Sensibilität
Für die praktische Umsetzung humanistischer Überzeugungen bedarf es einer Haltung vielfältiger Sensibilität: Aufmerksamkeit für sich selbst, für seine Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche, Empfindsamkeit für Andere, Achtsamkeit für Natur, Kultur und Gesellschaft. Diese ist für uns Humanist*innen genauso wichtig wie Vernunft und Wissen. Wir sind mit allen Sinnen offen für das, was das Leben zu bieten hat: Schönes und Aufregendes, Bestürzendes und Merkwürdiges. Hierzu gehört auch Offenheit für die sogenannten letzten Fragen: Trotz der eigenen Überzeugung, dass es keine übernatürlichen Kräfte gibt, ist es schwer zu akzeptieren, dass wir uns werden trennen müssen von allem, was wir lieben, und das für immer.
Autonomie und Verantwortung
Wissenschaft und Kultur unterliegen vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Interessen. Ihr humanistischer Sinn aber besteht immer darin, das Leben auf der Erde so gut wie eben möglich zu gestalten. Dabei gehört es zum humanistischen Eigensinn, sich stets ein persönliches Urteil zu bilden: Gegenüber jeder weltanschaulichen oder religiösen Dogmatik, gegenüber diesem oder jenem modischen Meinungstrend und auch gegenüber bestreitbaren wissenschaftlichen Wahrheitsansprüchen, sofern sie humanistische Überzeugungen ersetzen wollen.
Humanistische Verantwortung bedeutet, eine Entscheidung für oder gegen etwas letztlich selbst verantworten zu müssen. Weltanschauungen, Religionen, naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten, überlieferte Texte oder kulturelle Traditionen können einem diese Verantwortung nicht abnehmen. Auch die Berufung auf eine humanistische Überzeugung entbindet nicht von eigenständiger ethischer Reflexion und eigenverantwortlichen Entscheidungen.
Humanisierung und Gleichbehandlung: Politische Ziele und Forderungen
Fundamentalismus, Rassismus und Nationalismus gefährden das friedliche Zusammenleben. Umweltzerstörung entzieht der Menschheit ihre Lebensgrundlage. Moderne Informationstechnologien bedrohen Persönlichkeitsrechte. Die weitere Automatisierung von Arbeitsprozessen verschärft Beschäftigungsprobleme. Humanist*innen stellen sich diesen Bedrohungen entgegen und setzen sich für eine demokratische Kultur ein, in der Freiheitsrechte und eine selbstbestimmte Lebensweise gestärkt werden. Voraussetzung für eine humane Gesellschaft ist eine Politik, die den dauerhaften Frieden zwischen den Völkern sichert.
Die humanistische Lebensauffassung setzt die Gleichberechtigung aller Menschen voraus, unabhängig ihrer Herkunft, ihrer Weltanschauung, von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Identität. Wir unterstützen eine Politik, die Emanzipation und Beteiligung in allen Lebensbereichen unabhängig von finanziellen Voraussetzungen ermöglicht. Bildung ist wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung und eine Voraussetzung, um ein selbstbestimmtes Leben bis zum Lebensende führen zu können.
Dieser Text ist eine gekürzte Version des Humanistischen Selbstverständnisses, 2018.
https://humanistisch.de/x/hvd-bb/inhalte/unser-selbstverstaendnis
(zuletzt abgerufen am 16. März 2023)
Das vollständige Humanistische Selbstverständnis findest du hier:
https://humanistisch.de/sites/humanistisch.de/files/humanistischer-verband-berlin-brandenburg/docs/2019/06/humanistisches_selbstverstaendnis_hvd.pdf
(zuletzt abgerufen am 16. März 2023)
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